Über einsame Single-Track-Roads von Loch zu Loch und Destille zu Destille: Auf Sonnensuche in den schottischen Highlands.
Und immer schön dran denken: Der Regen von heute ist der Whisky von morgen!“, ruft mein Kumpel Florian mir zu, als wir kurz vor der Englisch-Schottischen Grenze eine kurze Pause machen. Doch statt wie ich mit einem langen Gesicht wegen der nahenden Regenfront seine Street Twin zu satteln, grinst die Nordmanntanne bis über beide Ohren. Wozu hab ich mich da bloß hinreißen lassen, denke ich, und pröttele ihm mit der Thruxton hinterher.
Denn während meine Kommilitonen fleißig Fotos aus deutlich wärmeren Gefilden des Erdballs rumschicken, fahren wir recht gemütlich in dicke Klamotten gepackt in Richtung wolkenverhangenes Glasgow. Unser Ziel für diese Reise: einmal rund um die schottische Halbinsel. Dafür geht‘s als Erstes die wildere Westküste entlang. Ganz gemütlich wollen wir die stilgebenden „Single Track Roads“ abfahren, Destillen besuchen und an Lochs in die Ferne schauen. Etwas über zwei Wochen haben wir uns zwischen Studium und Job freigeschaufelt – mehr als genug Zeit, um eine Handvoll Brennereien, Schlösser und andere Sehenswürdigkeiten zu besichtigen.
Und doch frage ich mich, wie lange ich mir Flos Spruch wohl einreden muss, bis ich auch so guter Dinge bin. Denn mittlerweile schüttet es wie aus Eimern, wird es zudem windig und kalt. Gehört der ständige Wechsel aus Sonnenschein und Regengüssen wirklich so zu Schottland wie der Tropfen Quellwasser in ein gutes Glas Single Malt Whisky?
Für beides ist Schottland schließlich weltbekannt: Eines der niederschlagreichsten Länder Europas verfügt über die höchste Dichte an Whisky-Destillen der Welt. Und zumindest was die Produktion angeht, stimmt der Spruch auch ohne Erfahrung am eigenen Leibe: Über 100 aktive Brennereien finden Whisky-Fans hier, darunter viele weltbekannte Marken.
Hinter Glasgow löst sich die Wolkendecke jedoch zum Glück fast zeitgleich mit der Zivilisation auf. Wo in der größten Stadt der Schotten noch fast 600.000 Menschen dicht zusammenleben, teilen sich in den Highlands statistisch gesehen nur noch neun Personen einen Quadratkilometer. Über weite Strecke sieht man daher oftmals eher Schafe oder Highland-Rinder als Menschen. Dafür zeigt sich das Wetter von seiner besten Seite. Ein makellos blauer Himmel erstreckt sich über den Horizont und lässt die zahllosen grünen Hügel und Berge aufleuchten. Nur ab und an zieren Grünflächen bereits herbstliches Braun, wo im Hochsommer alles im Saft steht.
Wir fahren derweil munter weiter. Und wettertechnisch ist es fast wie vorhergesagt: Nur weil du bei Sonnenschein losfährst, heißt das noch lange nicht, dass du auch trocken ankommst. Die Bedingungen wechseln mitunter wirklich von Kilometer zu Kilometer, weswegen ich mich die ersten Touren noch an der wunderschönen Szenerie entlang hangeln muss, um auf dem Bock motiviert zu bleiben. Das ändert sich schlagartig, als wir endlich auf kurviges Geläuf stoßen.
In Richtung Loch Katrine wartet ein richtiges Highlight auf uns: Aus malerischer, aber fahrerisch wenig anspruchsvoller Route schwingt sich auf einmal eine schmale Achterbahn in Richtung des Lochs auf. Ein mordsmäßiger Spaß – mitunter zwar etwas buckelig, dank scharfem Asphalt aber selbst bei Regen flott passierbar.
Und siehe da: Langsam freunde ich mich mit dem Wetter an. Eine seltsame Ruhe macht sich breit, sobald Regenwolken am Himmel aufziehen. Bis auf ordentlich dichte (und dicke!) Klamotten anzuziehen kann man sowieso nix machen, außer vielleicht zu hoffen, dass Petrus es nicht allzu sehr übertreibt. Und so gehört nach und nach das Nass von oben genauso zur Szenerie wie das morgendliche Spiegelei mit dem wie ein Eishockey-Puck danebenliegenden Black Pudding. Selbst kulinarisch gewöhnt man sich an alles.
Nächstes Ziel: Loch Shiel. Hier, wo 1558 Christopher Lambert in „Highlander“ in die Unsterblichkeit geboren wurde, fährt über das massive Viadukt keine 200 Meter Luftlinie entfernt ein anderer Filmschauplatz spazieren: der Hogwarts-Express. Und während der „Highlander“-Geburtsort heute nur wenigen Leuten ein Foto wert ist, lichten die Potter-Fans wie verrückt vom nahen Hügel aus den „Jacobite Steam Train“ ab. Und während die Muggel sich über ihr Dampfschauspiel erfreuen, schauen wir zu, wie ein kleiner Dampfer über das Wasser tuckert, während aus der Ferne Dudelsackmusik zu uns dringt. Kitschig? Aber sicher. Und genau das, was diese Szenerie ausmacht.
Nun wartet die größte Insel der inneren Hebriden auf uns: Die Isle of Skye. Die ersten zwei Tage haben wir sogar Glück mit dem Wetter. Während andere Reisende uns von Zwangspausen wegen Sturm berichten, zeigt sich die „Nebelinsel“ von ihrer allerbesten Seite. Angenehme 20 Grad, ein paar kleine Wölkchen und einmal mehr eine Szenerie wie aus dem Bilderbuch. Kein Wunder, dass die Insel zu den beliebtesten Zielen wetterfester Schottland-Fans gehört.
Im Hafen von Portree lernen wir eine Truppe junger Wanderer aus ganz Europa kennen – und sitzen gemeinsam am Dock, schlürfen Apfelcider und schauen wie gebannt auf die im Abendrot glühende Hügelkette vor uns. Dann erspähe ich an einem Kutter-Mast einen Sticker mit einem Fisch, der den Union Jack in der Flosse fest umklammert. Darüber prangt in großen Lettern: „Fishing for Leave“. Solche bornierten Aussagen von Schotten sind unserer Erfahrung nach aber in der absoluten Minderheit. Mit den meisten Kiltträgern ist gut Whisky trinken, besonders in Sachen Europa. Und so bekommt man auch hin und wieder eine schottische Weisheit zu hören: „Nirgendwo ist man dem Himmel so nah wie hier“, gibt man uns abends im Pub noch mit auf den Weg.
Wie recht sie haben. Am nächsten Morgen hängt die Suppe direkt über unseren Köpfen. Trotzdem schnüren wir die Wanderschuhe und versuchen, an der Küste entlang in Richtung des Kultfelsens „Old Man Of Storr“ zu pilgern. An den Klippen kommt uns der Regen waagerecht entgegen. Nach drei Stunden in der grünen Torflandschaft gibt sich selbst die beste wasserdichte Membran geschlagen – und wir uns schlussendlich auch. Schweren Herzens, mit einer anschließenden Schleife rüber zum malerisch in die Landschaft gebauten MacLeod-Domizil „Dunvegan Castle“ geht’s wieder zurück in die Highlands.
Nächster Stopp: der „gefährlichste Pass Schottlands“. Dabei klingt der Name im Gälischen recht putzig: „Bealach na Ba“, im Volksmund aber einfach „Cattle Pass“ genannt. Der schlängelt sich grün schimmernd langsam die dichte Nebeldecke hoch. Eine flott zu fahrende, mitunter aber recht unübersichtliche Kurvenpartie – wenn die nasse Straße und die vielen Flicken nicht wären. Zum Unmut gesellt sich auch noch Pech: Auf der Spitze soll man an guten Tagen die Insel Skye erspähen können – heute umhüllt aber grauer Nebel den Pass. Und dennoch lohnt die Fahrt durch die Suppe.
Nicht nur, weil im kleinen Örtchen Applecross ein kleines Steinhaus-Restaurant mit Vorurteilen zur schottischen Küche aufräumt, sondern auch weil sich an der Küste die Wolkendecke wieder komplett freischält – und einen bombastischen Ausblick auf die kleinen Inseln Raasay und Rona vorhält. Blöd nur, dass nicht nur wir uns so angetan von der Szenerie geben – und der Ort samt Campingplatz hoffnungslos ausgebucht ist. Auch etwas weiter nördlich sieht die Zimmersituation zunächst nicht besser aus.
Während sich die Sonne am Horizont schon lange abgemeldet hat, wird Kumpane Flo langsam mulmig zumute. Übel nehmen kann ich’s ihm nicht: Wild am Straßenrand grasende Schafe machen die Weiterfahrt durch die stockfinstere Nacht unnötig gefährlich. Doch man erbarmt sich unser. Im nächsten Ort organisiert uns ein Pensionsbetreiber über Umwege ein Zimmer im Haus seiner Nachbarin – die uns sogleich mit allerlei Süßigkeiten begrüßt. Verwundert schauen wir auf ihre dicke Winterjacke. Warum sie die trage? Weil es eiskalt ist im Örtchen Shieldaig – normalerweise hätte man es um die Jahreszeit deutlich wärmer, auch in der Nacht, gibt sie zu Protokoll.
Doch meine Hoffnung auf deutlich angenehmere Temperaturen schwinden mit jedem Meter. Je weiter wir in den Norden fahren, desto mooriger wird die Szenerie. Auf halbem Weg zwischen Ullapool und Durness hätte man seinerzeit auch die „Herr der Ringe“-Trilogie verfilmen können – wenn es denn mal aufhören würde zu regnen.
Erst als wir auf den Parkplatz der Nordspitze des schottischen Festlands aufbiegen, reißt die Wolkendecke wieder auf. „Dunnet Head“ steht vor uns in Stein gemeißelt – nördlicher geht’s auf der Insel nicht. In der Ferne strahlt die Sonne die Orkney-Inseln an. Am nahen Strand stürzen sich ein paar Mutige in die vom Golfstrom leicht aufgewärmten Fluten. Doch trotz der extra eingepackten Badehose verzichte ich bei schmalen sieben Grad Außentemperatur lieber auf ein erfrischendes Bad im Atlantik.
Von nun an geht’s wieder runter in Richtung Süden – nur eben an der Ostküste entlang. Die hat den großen Vorteil, dass sie wesentlich beständigeres Wetter bietet, dafür aber landschaftlich bei weitem nicht so exotisch und leuchtend grün daherkommt, wie die Westküste. Immerhin lockt mit Inverness und dem Schlachtfeld in Culloden das historische Ende der Highlander.
Vor gut 270 Jahren fand dort in der riesigen Steppe der Traum eines schottischen Königs in nicht einmal einer halben Stunde sein jähes Ende. Massenweise Grabsteine erinnern hier an die Gefallenen der Clans. Nur den Engländern wird mit einem einzelnen, deutlich stärker bemoosten Brocken weniger Platz zur Erinnerung eingeräumt. Kein Wunder: Verluste der Besatzer gab‘s so gut wie gar keine.
Etwas außerhalb des Cairngorne Nationalparks cruisen wir durch den Tay Forest Park, eine der letzten Stationen unserer Reise. Durch dichten Wald schlängeln wir uns am Loch Tummel eine wirklich malerische Straße entlang. An deren Ende angekommen, parken wir unsere Triumphs am Queens View. Zum letzten Mal genießen wir hier den Ausblick in die Highlands. Und nach zwei Wochen und gut 3000 Kilometern muss selbst ich Skeptiker zugeben: Es ist sehr, sehr schön hier. Quasi eine Läuterung durch Regen. Gutes Stichwort übrigens: Just in diesem Moment öffnet der Himmel wieder die Schotten.
Letzter Stopp Edinburgh. Dort wartet neben einer Studien-Freundin ein Abend lang auch die „Freshers Week“ auf uns. Mitte September geht’s in der schottischen Unistadt für aberhunderte Erstsemester ans Eingemachte. Und für uns natürlich auch. Doch allzu lange Feiern die sonst so trinkfesten Schotten nicht: Ziemlich exakt um zwei Uhr werden hier die Bürgersteige hochgeklappt…
Ein gelungener Abschied also? Mitnichten. Bei Nieselregen schlendern wir am nächsten Morgen zum letzten Mal durch das nasskalte Edinburgh. Am Mietzimmer angekommen, fällt mir mein falsch eingeschlagener Lenker auf. Hab ich Volltrottel etwa die Thruxton nicht abgeschlossen? Während Flo noch Witze über meine Schusseligkeit macht, dämmert mir bereits Böses.
Ein Blick auf das Zündschloss und mein Restalkohol ist verflogen. Irgendwelche Idioten haben die Schlösser geknackt, die Bikes aber stehen lassen. Immerhin etwas Glück im Unglück. Doch was dann folgt, macht mir meine kleine lodernde Schottland-Flamme schnell wieder aus: Geschlagene vier Stunden lassen uns die Cops im Regen stehen, bis ich endlich einen zufällig streife fahrenden Polizei-Bulli zum Stopp bitten kann.
Ein wirklich schändlicher Abschied.